Es geht um eine von der KPMG herausgegebenen Musterübersetzung des Prüfungsberichtes. Die Anmerkungen dürften auch von Interesse für angehende Übersetzer sein.

Zusammenfassung meiner Kritik der Musterübersetzung

1. Der Übersetzungsstil ist nicht einheitlich. Mal wird vereinfacht, mal ausführlich kommentiert, aber ohne erkennbare Logik.

2. Viele Übersetzungen sind weniger präzise, als durchaus möglich wäre.

3. Schlüsselbegriffe werden ohne erkennbaren Grund unterschiedlich übersetzt.

4. Gelegentlich finden sich Aussagen im Zieltext nicht wieder, dafür stehen teilweise dort Elemente, die im Ausgangstext fehlen.

5. Viele Übersetzungen sind wenig idiomatisch; teilweise enthält die Musterübersetzung schlicht falsches oder gar unverständliches Englisch. Es handelt sich in einem Wort um eine "Patchwork"-Übersetzung, an der offensichtlich viele mitgewirkt haben, ohne aber dass dahinter ein durchdachtes Übersetzungskonzept gestanden hätte. Meine Kritik richtet sich nicht nur an die Ausführung der Musterübersetzung, d.h. an die Stimmigkeit und Qualität der Vorlage, sondern auch an das Konzept. Es ist nämlich von vornherein zu ehrgeizig und setzt an der falschen Stelle an. Sinnvoll wäre es zum Beispiel gewesen, die Handhabung bestimmter Begriffe und problematischer Passagen in einer offenen Debatte (und nicht im geschlossenen Kreis) mit Begründungen zu führen. Erst vor diesem Hintergrund dürfte man eine Musterübersetzung in Angriff nehmen, wenn überhaupt. Und das Ergebnis dieser Arbeit wäre nicht so sehr eine abgeschlossene Übersetzung, sondern ein erhöhtes Bewußtsein für Sprache und Stil bei der Ausarbeitung herzustellen.

Meine Kritik an das Konzept stellt sich wie folgt dar:

1. Ein professioneller Übersetzer mit langjähriger Erfahrung in diesem Bereich hätte mindestens doppelt soviel Arbeit damit, die vorgegebene Übersetzung heranzuholen und seine Übersetzung dieser anzupassen, als mit einer eigenen Übersetzung. In aller Regel hat er seine Arbeitsweise über die Jahre hinweg entwickelt, und dabei seine Präferenzen mit anderen Übersetzern und anhand einschlägiger Literatur (auch der bekannten zweisprachigen Ausgaben der Gesetzestexte und IDW-Verlautbarungen) verglichen und kontrolliert. Das Muster könnte als "Einstieg" dienen, als "Fortbildung" weniger.

2. Darunter leidet die Arbeitszufriedenheit, denn wie gut das Muster auch sein mag, so gibt es immer Passagen, an denen der Übersetzer eine bessere Möglichkeit erkennt oder eine wenn auch nur leicht abweichende Formulierung bevorzugt. Diese Präferenz kann sich daraus ergeben, dass das Satzumfeld eine andere Wendung begünstigt, ohne dass im einzelnen Satz des Musters etwas schief stehen würde. So muss der Text als ganzes einen gewissen Lesefluss aufweisen. Die vorgegebene und meinetwegen perfekte Übersetzung kann auf einmal unpassend wirken, weil z.B. die grammatikalische Struktur im Kontext zu eintönig wirkt oder Wörter vorkommen, die im Satzumfeld bereits eine andere Bedeutung erhalten haben.

3. Die Musterübersetzungen (auch aus anderem Hause) enthalten erfahrungsgemäß immer Fehler, Auslassungen, Hinzufügungen, ungelenke Lösungen, gewagte Interpretationen usw. Sie werden anscheinend nicht von Mitarbeitern verfasst, die sich wirklich vorwiegend mit der Übersetzung derartiger Texte befassen.

4. Freiberufliche Übersetzer sind selbstverständlich auch für andere Firmen tätig. Ist es noch gerade zumutbar, fünf Lieblingswörter oder bevorzugte Formulierungen des einen Kunden bzw. Mandanten in der Übersetzung zu berücksichtigen, so ist eine derartige Anpassung bei größeren Wunschlisten wirklichkeitsfern. Dazu müssten sich die Preise und die Lieferzeiten erhöhern, aber dabei wären nicht einmal die Auftragnehmer glücklich, denn damit verändert sich die Art der Arbeit, die dann nicht mehr kreativ und fachlich verankert ist, sondern in eine bürokratische Gängelung entartet.

5. Die Musterübersetzung wurde nicht als ein "work-in-progress" angeboten, zu der die freiberuflichen Mitarbeiter hätten gern beitragen können.

6. Ein Großteil der Kritik in der unten stehenden Analyse bezieht sich auf die uneinheitliche Terminologie der Musterübersetzung. Zur Klarstellung: Sollten manche Termini tatsächlich konsequent verwendet werden, so ist es wünschenswert wiederum bei anderen Termini, Alternativen zuzulassen. Zum Beispiel: man soll sich entscheiden für “accrual” oder “provision” und nicht mal das eine, mal das andere Wort benutzen (oder eine Unterscheidung definieren, was allerdings schwer fallen dürfte). Andrerseits ist es gut, die beiden Ausdrücke “set up a provision” und “recognise a provision” zur Verfügung zu haben und diese ggf. im Text abwechselnd zu verwenden. Denn je nach dem Satzgefüge und dem Satzumfeld ist mal stilistisch das eine, mal das andere vorzuziehen. Das erkennt man daran, ob nun eine Abwandlung des einen Begriffes (“set”, “recognise” “recognition” usw.) zufällig im Satz ebenfalls vorkommt: dann weicht man gerne auf das andere Wort aus. Oder man versucht, eine ausgeglichene Mischung von angelsächsischen Wörtern und Wörtern französischer Herkunft zu erreichen. Das macht ein wortgewandter Muttersprachler instinktiv aufgrund seines Sprachgefühls.

Wenn ihm aber die Hände gebunden sein sollen, dürfte die Arbeit keinen Spaß mehr machen, und darunter leidet letztlich auch der Leser, ohne zu wissen weshalb. Ich habe diese vielleicht z.T. kleinliche Kritik an manchen Stellen auch deshalb gebracht, weil der Text sich als Muster darbietet, und damit sind ja völlig andere Maßstäbe angebracht als sonst.

Zum Thema der Wortwahl in der Rechnungslegungssprache bei Übersetzungen ins Englische habe ich ebenfalls ein Grundsatzkonzept ausgearbeitet, das sich auf meiner Website www.language-for-clarity.de befindet. Im übrigen stimmt meine grundsätzliche Kritik mit dem allgemeinen Ansatz überein, der in dem von der KPMG NL herausgegeben Editorial Style Guide steht; diese wiederum gibt weitgehend die Prinzipien wieder, die in den veröffentlichten Style Guides der Economist, der Oxford Dictionary u.v.a.m. verbreitet werden

Die gelinkte PDF zum Download enthält nach dem oben wiedergegebenen Text eine detaillierte Darstellung der Übersetzung in drei Spalten mit Deutsch, KPMG-Englisch und mein Kommentar dazu.

Für die PDF mailen Sie an
Familienname (7 Buchstaben) AT language-for-clarity gefolgt vom Domainnamen für Deutschland. (Hier umständlich, um Spam zu vermeiden.)

Technikproblem mit dem Herunterladen der PDF.

> als PDF zum Download hier